Wie reagiere ich, wenn mein Kind plötzlich extrem lustlos wird, die Noten einbrechen, es kaum mehr soziale Kontakte zu Freunden hat, müde und kraftlos wirkt? Wie gehe ich als Lehrkraft auf einen Jugendlichen zu, der sich offensichtlich ritzt? Und wie führe ich ein Gespräch mit einem Jugendlichen, um den ich mir Sorgen mache, ohne dass er oder sie sofort abblockt?
Auf diese und mehr Fragen gab es am 22.2.2018 im Schulzentrum NEA fachkundige Antworten. Bereits im dritten Jahr wurde nämlich wieder eine Eltern-Lehrer-Fortbildung der Dietrich Bonhoeffer-Realschule und des Friedrich-Alexander-Gymnasiums in Neustadt/Aisch im Pädagogischen Zentrum durchgeführt. Mehr als 160 interessierte Eltern, Lehrkräfte der beiden Schulen, junge erwachsene SchülerInnen und viele Interessierte weiterer sozialer Berufsgruppen, die über den Arbeitskreis „Psychische Gesundheit“ des Landkreises eingeladen worden waren, folgten der Einladung.
Und es lohnte sich für alle: Die Referentin, Frau Elka Stradtner vom Institut für Pädagogik und Schulpsychologie der Stadt Nürnberg, konnte das Publikum von der ersten Minute an fesseln. Sie überzeugte alle mit ihrem großen Fachwissen, aber noch viel mehr mit den lebenspraktischen Beispielen aus ihrem langen Berufsleben als psychologische Psychotherapeutin, Schulpsychologin und aus dem Bereich der Krisenintervention – und mit ihrer Perspektive als Mutter bereits erwachsender Kinder.
Denn es ist nicht einfach, zu unterscheiden, wo denn eine psychische Störung beginnt und wo eine Entwicklung vielleicht nur „normales“ Pubertätsverhalten ist: Was ist in unserer Gesellschaft noch normal beziehungsweise schon akzeptiert? Wie werden psychische Erkrankungen wie Depressionen in Abweichung von einem „normalen“ Zustand diagnostiziert?
Besonders alarmierend waren sicherlich die Zahlen, die Frau Stradtner nannte: So zeigen Längsschnittstudien auf, dass in Deutschland ein Drittel der männlichen und die Hälfte der weiblichen Jugendlichen depressive oder ängstliche Episoden haben und bei vielen von ihnen entsteht daraus eine längerfristige psychische Erkrankung.
Die Referentin zeigte aber auch auf, woran genau man eine „echte“ Depression im Jugendalter erkennen kann: neben gängigen Merkmalen wie Interesse-, Hoffnungs- und Antriebslosigkeit sind bei Jugendlichen auch sehr häufig körperliche Symptome zu verzeichnen, z.B. Bauchschmerzen, psychomotorische Unruhe und sogar Aggressionen.
Auch das nichtsuizidale selbstverletzende Verhalten ist in unserer heutigen Gesellschaft kein seltenes Phänomen, denn Studien zeigen, dass bei 10,9 % der 9.Klässler aller Schularten in Deutschland selbstverletzendes Verhalten, wie etwa Ritzen, auftritt. Bei 4% der Altersgruppe sogar häufiger als 3x pro Jahr. Frau Stradtner konnte den Eltern und Pädagogen erklären, was hinter diesen Selbstverletzungen, die für Erwachsene oft ganz unverständlich erscheinen, steht: Dass v.a. die vorher auftretenden sehr negativen Stimmungen und ein ungeheures Druckgefühl durch das Ritzen und den Schmerz abgebaut werden soll – ähnlich dem Kratzen an einem Mückenstich, bis dieser blutet.
Wie aber kann man im Elternhaus und in der Schule damit umgehen? Hierfür gab die Schulpsychologin ganz praktische Tipps: Dass man durch eine gelassene und ruhige Grundhaltung dem Sohn und der Tochter in jedem Falle zeigen soll, dass man ihn bzw. sie wertschätzt und akzeptiert – nicht aber das gezeigte selbstverletzende Verhalten! Dass beim gemeinsamen Gespräch das Zuhören vermutlich wichtiger ist als das Sprechen – und dass man, wenn man sprachlos ist angesichts des unverständlichen Verhaltens des Kindes – auch ruhig einmal in einem Brief seine eigenen Sorgen und Gefühle dem Kind gegenüber ausdrücken sollte, um wieder in Kontakt miteinander zu kommen. Denn viele betroffene Jugendliche äußern in der Krisenintervention und der Beratung immer wieder den Wunsch, dass sie mehr Zeit, mehr Anteilnahme und mehr Anerkennung von Seiten der Eltern, aber auch von Seiten der Lehrkräfte erhalten möchten.
Die anschließende sehr lebhafte Diskussion mit dem Publikum zeigte, dass in der konkreten Situation keine Patentrezepte helfen können, sondern immer der individuelle Einzelfall betrachtet werden muss. Eine wichtige Rolle können hierbei auch Frau Melzer, die Schulpsychologin der Dietrich Bonhoeffer-Realschule, und Frau Wünsche, die Schulpsychologin des Friedrich-Alexander-Gymnasiums, spielen, die auch diesen sehr ergiebigen Abend initiiert und organisiert haben.
(Maria Wünsche)